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Sehen – Fisch

In einem unserer Newsletter ging es um das Thema Fisch. Dabei sind uns so viele Bücher und Filme eingefallen, die gepasst hätten, dass uns die Auswahl echt schwer wurde. Zum Glück ist Fisch ja leicht, und man kann eventuell mehrere Gänge vertragen. Hier also der Nachschlag:

Lucien Castaing-Taylor und Verena Paravel, 2012
Leviathan
2012 begleiteten die Filmemacher und Anthropologen Lucien Castaing-Taylor und Verena Paravel die Besatzung eines Fischerboots bei ihrer Arbeit. Was dabei herausgekommen ist, hat mit der üblichen Form einer Dokumentation nichts zu tun. Alles was nicht niet- und nagelfest war – und sogar das – wurde mit GoPro-Kameras ausgestattet. Das sind diese Geräte, die bei Übertragungen von Skirennen gern an die Helme von Fahrern appliziert werden, um sich deren Erleben anzunähern.
Nähe und Unmittelbarkeit auch hier. In jeden Vorgang wird hineingefilmt, aus jeder Perspektive heraus. Wir befinden uns an Bord, im Inneren eines gefüllten Netzes, in einem Möwenschwarm. Wir tauchen unter Wasser, verlieren die Orientierung, sind Wind und Wetter ausgesetzt, tauchen in schwarze Dunkelheit, um im nächsten Moment von der grellen Helmleuchte eines Fischers geblendet zu werden.
Zusammen mit der Tonspur, die Sturm, Möwengeschrei, Wasserrauschen, -spritzen und klatschen mit dem Knarren und Ächzen des Bootes vermengt, entsteht eine beeindruckende, berauschende und unheimliche Höllenfahrt, die erlebt und ein wenig durchlitten sein will.
Als Ausgangspunkt ihrer Reise haben sich die Filmemacher New Bedford in Massachusetts ausgewählt. Dort befand sich schon zu Zeiten von „Moby-Dick“ das Zentrum des amerikanischen Walfangs. Die Assoziation an das eher düstere Ringen mit der Natur in Herman Melvilles Klassiker dürfte nicht ungewollt sein.

Terry Jones, 1983
Monty Pythons Der Sinn des Lebens
Fische sind die (gar nicht so) heimlichen Hauptfiguren in diesem philosophisch-komischen Meisterwerk von 1982. Während in sieben Themenblöcken mal mehr mal weniger konsequent dem (Un-)Sinn des Lebens nachgeforscht wird – vom Wunder der Geburt über Wachsen und Lernen bis zu Organtransplantationen und schließlich dem Tod – besetzen Fische die Schlüsselpositionen.
Gleich zu Beginn, kaum hat der Vorspann musikalisch die Frage nach dem Sinn des Lebens aufgeworfen, treffen wir sechs Fische im Aquarium eines Nobelrestaurants. Sie tragen die Gesichter der sechs Mitglieder des Monty-Python-Ensembles. Nachdem sie sich aufwändig und vollständig gegenseitig begrüßt haben, schauen sie in die Kamera. „Guckt mal, “ sagt einer, „Howard wird gerade gegessen.“ Antwort: „Das gibt einem irgendwie zu denken.“ – Fressen und gefressen werden der eher pessimistische Grundton ist zum Klingen gebracht.
Die Mitte des Films, die auch genau so heißt (Untertitel: „Finde den Fisch“) heißt es dann in einer surrealen Performance: „Fischlein, Fischlein, Fischlein, Fisch. Er ist überall dahin gegangen, wo auch ich hingegangen bin.“ Die Schicksalsverknüpfung Mensch-Fisch verdichtet sich.
Wenn am Ende des Films ein Mitglied einer Abendgesellschaft den Sensenmann fragt, wie es denn sein könne, dass alle Anwesenden gleichzeitig gestorben seien, hält dieser seinen knochigen Zeigefinger über ein mäßig appetitliches Gericht und sagt: „Die Lachsschaumspeise.“ So schließt sich der Kreis, Howard ist von einem Artgenossen gerächt, die Bedeutung des Fisches für unser Leben nicht mehr von der Hand zu weisen. Sind wir gar die Fische? Entsprechend unaufgeregt fällt die Auflösung der Frage nach dem Sinn des Lebens aus: „Seien Sie nett zu Ihrem Nachbarn. Vermeiden Sie fettes Essen. Lesen Sie ein paar gute Bücher…“

Robert Redford, 1992
Aus der Mitte entspringt ein Fluss

Im ländlichen Montana in den 1920er Jahren erzieht ein Pastorenpaar seine beiden Söhne. Während die Beziehung des Vaters (Tom Skerritt) zu den Jungen von Strenge, Nüchternheit, aber auch liebendem Respekt geprägt ist, öffnet sich in der gemeinsamen Leidenschaft – dem Fliegenfischen – eine ganz andere Welt. Wo sonst alles knapp gehalten wird, herrscht in der üppigen Natur ein Überfluss an Zeit und Emotion.
Das Drama der unterschiedlichen Brüder birgt interessanterweise eine Umdrehung der Heimatfilmkonvention Stadt – böse, Land – gut. Der intellektuelle Norman (Craig Sheffer) wird Literaturprofessor in Chicago, der vitale Paul (Brad Pitt) bleibt als Lokalreporter vor Ort und verfällt Alkohol und Glücksspiel. Doch trotz aller Gegensätze bleibt das gemeinsame Angeln immer eine Verständigungsebene, die keine Worte braucht. Bemerkenswert für die drei Männer, denen Sprache eigentlich das entscheidende Werkzeug ist.
So ist das Angeln auch der Star des Films. Die Bögen in denen die langen Angelschnüre durch die Luft schwirren. Die Lichtreflexe auf den gurgelnden Bächen. Der französische Kameramann Philippe Rousselot hat sich mit atemberaubenden Bildern seinen Oscar redlich verdient.
Was schnell kitschig werden könnte, ist zum Glück klug in der Erzählung aufgehoben. Das Paradies ist nämlich auch immer der Ort, den man verlassen musste und zu dem es kein Zurück gibt. Einziger Ausweg: Die Wiederbelebung in der Erinnerung.

Sven Sonne