Aufschieben
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Paradigmenwechsel, Selbsterfahrung
, Zeit
Jeder Mensch, der eine mehr, der andere weniger, neigt dazu, Dinge aufzuschieben. Das gilt als eine negative Eigenschaft. Die Tipps zum Umgang mit der sogenannten Prokrastination füllen vermutlich den Umfang zumindest des kleinen Brockhaus, und sie wären auch durchaus hilfreich, wenn man sich denn dazu aufraffen könnte, sie anzuwenden.
Natürlich gibt es die Gegenbewegung, für die beispielsweise Passig und Lobo mit „Dinge geregelt kriegen“ eine Lanze brechen. Auch wenn sie finden, so schlimm sei es gar nicht, wenn man nicht alles sofort angeht, und gleichzeitig irgendwie doch die Hoffnung mitschwingt, genau diese Erkenntnis habe es noch gebraucht, und – zack – säße man bei der Arbeit und würde wegschaffen wie ein Wilder.
Also, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber bei mir klappt das so nicht. Wenn mein Unterbewusstsein oder, wem man sonst die Schuld daran in die Schuhe schieben kann, etwas aufschieben möchte, dann schiebt es. Punkt. Es sei denn…
Ja, es sei denn, man findet heraus, was eigentlich los ist. Aufschieben liegt nämlich nicht – so meine These – an der Tätigkeit an sich. Müll rausbringen und sich einen Kaffee kochen und ein paar Kekse dazu nehmen dauert in etwa gleich lange. Aber Hand aufs Herz, wie oft haben sie das mit dem Kaffee und den Keksen schon vor sich hergeschoben und wie oft den Müll? A-ha!
Wir schieben auf, was uns sinnlos vorkommt, uns an die Ehre geht, uns langweilt, uns gegen den Strich geht oder sonst wie psychisch unangenehm ist.
Wenn wir dem nachgehen, finden wir vielleicht heraus, dass wir nicht etwa seit acht Monaten vor uns herschieben, einen Zahnarzttermin zu vereinbaren, weil wir so Angst vor den Schmerzen haben, sondern weil uns das Loch in unserem Zahn vor dem Zahnarzt so peinlich ist. Zeichen unseres Versagens. Und weil wir uns bloßgestellt fühlen, wenn er uns ausführlich belehrt. Und der Müll? Neulich nannte das mal ein Bekannter eine „niederwertige Tätigkeit“. Der ist sich also für den Müll zu schade. Andere streiten sich, wer dran ist. Oder man mag eigentlich in den Schlunzklamotten nicht aus dem Haus. Aber jetzt nur für den Weg zum Mülleimer extra umziehen? Und wenn man dann doch mit der Mülltüte loszieht, trifft man natürlich irgendjemand Wichtigen, angezogen wie aus dem Ei gepellt, was beim nächsten Mal dann die unbewusste Peinlichkeitsschwelle noch höher legt. Und so weiter. Protokollschreiben beispielsweise dauert so lange, weil a) man sich furchtbar über sich selbst ärgert, dass man sich das hat aufhalsen lassen, weil b) der Chef immer dieselben einteilt, weil c) man jetzt schon weiß, dass man sich mit Kollege K. hinterher wilde Diskussionen liefern wird, ob das tatsächlich so entschieden wurde oder d) oder so.
Wenn man aber herausfindet, was das wirkliche Problem ist, löst es sich manchmal allein dadurch schon in Luft auf. Noch viel besser aber ist, dass man oft für die Zukunft vorbauen kann.