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Selbstzuschreibungen

Menschen haben Eigenschaften.
Einige davon sind objektiv feststellbar. Ich beispielsweise habe braune Haare, trage eine Brille und bin relativ klein. Das sieht man, das sehe ich. Und ich habe keine Scheu, das von mir zu behaupten.
Andere Eigenschaften sind subjektiv. Ich kenne beispielsweise eine Menge Leute, die ich nett finde. Amüsant. Interessant. Und ich hoffe, dass das anderen mit mir ebenso geht. Aber ich weiß, dass längst nicht jeder die Menschen, die ich nett, amüsant und interessant finde, genauso sieht. Was ich für positiv halte, finden andere anstrengend, nervtötend oder langweilig. Und ich würde daher niemals anderen gegenüber behaupten, ich sei nett, amüsant oder interessant. Das müssen die schon selbst für sich herausfinden.
Beispiel Integrität. Fast jeder möchte gern integer sein oder zumindest als integer gelten. Man kann sich auch selbst für integer halten, wenn man die eigenen Handlungen betrachtet und beurteilt. Und man kann versuchen, so zu handeln, dass es nach allgemeinen Maßstäben als integer gelten kann. Aber wie sehr man sich auch anstrengt: integer zu sein in den Augen anderer bleibt eine Fremdzuschreibung und die anderen setzen den Maßstab, und zwar ihren eigenen.
Interessanterweise ist dieser Umstand offenbar nicht jedem bewusst ist. Dann schreiben sich Menschen selbst Eigenschaften zu, aber nicht im Sinne von „Ich finde mich toll“, sondern verallgemeinernd als „Ich bin toll“ oder sogar als „Ich bin der Allertollste“. Besonders häufig findet sich das in Kontaktanzeigen („gut aussehend und gebildet“) und in der Eigenwerbung von Selbständigen („der Erfolgstrainer Nr. 1“).
Beispiel Coolness. Natürlich findet der Typ in der zerschlissenen Jeans mit tiefer gelegtem Hosenboden sich cool. Ein anderer dagegen findet sich cool im Designeranzug mit Sonnenbrille, den Arm lässig über die Tür seines Cabrios gehängt. Und recht so! Sich selbst gut zu finden, steht jedem Menschen zu. Total uncool dagegen wäre von beiden, sich selbst als cool anzupreisen.
Fazit: Man kann es sich wünschen, hoffen, darum beten und alles dafür tun, das andere einen für ehrlich, zuverlässig, freundlich, witzig oder eben cool halten. Nur nützt es gar nichts, wenn wir anderen ganz direkt mitteilen wollen, wir seien es, und dabei so tun, als wäre das nicht unsere persönliche Meinung, sondern sozusagen eine objektive Tatsache. Das wirkt mindestens merkwürdig, weil man anderen das eigene Urteil vorgeben will, manchmal sogar lächerlich, wenn Wirklichkeit und Aussage zu weit auseinander klaffen, und manchmal macht es sogar spontan misstrauisch, wenn jemand beispielsweise extra betont: „Mir können Sie vertrauen. Ehrlich!“.