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Problemtrance

Im Coaching gibt es den Begriff der Problemtrance. Darunter versteht man, dass jemand von einem Problem und dessen eingehender Betrachtung derart gefangen genommen ist, dass für eine Problemlösung keine Kapazitäten zur Verfügung stehen. Oft existiert nicht einmal der Gedanke daran, dass es ja eine Lösung geben könnte, und noch viel weniger eine Vorstellung davon, wie die wohl aussehen möge. Nicht gerade hilfreich, denn:

„Problem space is not solution space.”

wie schon Albert Einstein sagte.
Nun war dieses Phänomen für mich bislang immer ein mehr oder weniger abstraktes Wissen geblieben. Bis ich vor kurzem Gelegenheit hatte, es als Beobachter live mitzuerleben. Neulich waren wir nämlich im Urlaub. Unsere Nachbarn im Apartment unter uns hatten Besuch und unterhielten sich lautstark auf dem Balkon. Offenbar wurden Vorbereitungen für das gemeinsame Abendessen getroffen. Dabei begab sich die folgende Szene:

Nachbar: Siehst Du, Tobias, jetzt hast Du das Wasser ausgekippt. Jetzt schau Dir die Schweinerei an! (…) Mann! Jetzt pass doch auf! Du rutschst noch aus! Jetzt hast Du ganz nasse Socken!
Nachbarin: (von drinnen) Was ist denn los?
Nachbar: Jetzt hat er hier das ganze Wasser ausgekippt. Und ist durchgelaufen. Ganz nasse Socken hat er jetzt!
Nachbarin: Ich komm mal.
Nachbar: Pass auf, das ist hier ganz rutschig.
Nachbarin: Ach, Mensch, Tobias, da hättest Du doch auch mal besser aufpassen können. Guck Dir mal an, wie das jetzt hier aussieht. Und wenn die Lisa rauskommt, rutscht die nachher noch aus.
Besuch (m): (vom Gartenstuhl) Ja, das ist sowieso ganz schön glatt, der Boden hier. Und wenn der nass wird…
Nachbarin: Musst Du uns nicht erzählen. () Lisa, Lisa, ja, komm mal her. Aber pass auf, das ist da ganz rutschig.
(Eine Weile herrscht schweigende Betriebsamkeit. Plötzlich lautes Weinen)
Nachbarin: (eilt von drinnen herbei) Ja, Lisa. Lisa, mein Schätzchen! Ja, komm mal her. Bist Du ausgerutscht? Ja, das tut weh. Ja, ich weiß.
Besuch (w): (von drinnen) Was ist denn los?
Nachbarin: Ach, sie ist hingefallen. War ja klar, dass sowas passiert mit dem ganzen Wasser hier.

Vermutlich wird auch Ihnen diese Szene geradezu unfassbar vorkommen. Ich selbst hatte größte Mühe, nicht: „Aufwischen! Einfach aufwischen!!!“ zu rufen.
Aber aus der Ferne und der Rolle des Beobachters (oder Zuhörers) ist Problemlösung und vor allem Problemerkennung ja auch leicht. Schon in der Bibel steht das mit dem Balken im eigenen Auge. Das eigentliche Problem mit der Problem-Trance ist, dass man es ja eben selbst gerade nicht merkt, wenn einem eine Pfütze zum unüberwindlichen Ozean wird. Hier hilft vor allem, gelegentlich innezuhalten und sich selbst zu fragen, ob man da gerade Probleme löst – oder nur unter ihnen leidet.