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Baumeister

Gotische Kathedralen sind in unseren Augen nicht einfach schöne Bauwerke. Sondern auch Wahr¬zeichen der Tatsache, dass da die Arbeit von Menschenhand so viel Zeit überdauert hat. Natürlich wissen wir, dass in ein paar tausend Jahren auch die Notre Dame geschliffen sein wird. Aber noch steht sie, und das erfüllt mit Ehrfurcht und Sehnsucht.
Wer am Abend zufrieden nach Hause gehen will, der braucht eine innere Überzeugung davon, wie wichtig das ist, was er tut. Managementaufgaben werden aber heute immer mehr zu Eintagsfliegen und bleiben dazu meist ohne sicht- und greifbares Ergebnis. Das eben Erreichte wird sogleich durch etwas Neues abgelöst, oft sogar, bevor es ganz fertig ist. Damit zufrieden zu sein und zwar wirklich zufrieden, nicht im Sinne von „Na, wenigstens verdiene ich gut!“ gilt zu recht als nahezu unmöglich.
Auch der mittelalterliche Baumeister, dessen Werkstatt Bögen für gotische Fenster meißelte, hat das endgültige Ergebnis seiner Hände Arbeit vielleicht nie gesehen. Und über die Arbeitsbedingun¬gen ließe sich mit Sicherheit auch Einiges sagen. Aber er hatte – zumindest in unserer Vorstellung – das sichere Gefühl, an etwas Großem mit zu bauen, das für ihn Sinn machte.
Natürlich. Hinter jedem Firmenjubiläum verbergen sich neben den Gründern und wenigen herausra¬genden Personen viele namenlose Mitarbeiter, die daran mitgewirkt haben, dass ein Unternehmen über die Zeit und dabei eben im Wandel Bestand hat. Insofern trägt auch der einzelne Firmenmitar¬beiter, der einzelne Manager zu einem größeren Ganzen bei. Heute aber fehlt so oft das Gefühl, dass das bei dem, was man tut, auch tatsächlich der Fall ist. Dass hinter dem, was begonnen wird, ein Plan steckt, der einmal zu einer Kathedrale werden kann. Immer öfter bestätigt sich im Nachhin¬ein der Verdacht, es habe sich um ganz andere Ziele gehandelt, um eine hidden agenda wie persön¬liche Interessen Einzelner oder Weniger, um blinden Aktionismus, geboren aus einer Mischung von Ratlosigkeit, Überforderung und dem Willen, das zu verbergen. Um das me-too-Syndrom, bei dem Lösungen, die andere implementiert haben, unbedingt auch eingeführt werden müssen, sogar wenn sie bei näherem Hinsehen vielleicht gar nicht auf das eigene Unternehmen passen. Zum Beispiel.
Wenn man aber das Engagement von Menschen zu oft ohne ein erkennbares Ergebnis, ohne einen spürbaren Sinn verlangt, bleibt am Ende nur noch Müdigkeit. Wer also in einem Unternehmen etwas Neues beginnt, sollte sich fragen, wieviel Zukunft und Bestand er dem Projekt einräumt oder ob er sich und andere damit womöglich einmal mehr Wasser pflügen lässt.